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Der Essay „Vorlesungen über das Universum“ stammt aus der Feder von Alexander von Humboldt.

[…] Wir gehen nun zur Betrachtung der organischen Teile unseres Erdbodens über. Alle Erscheinungen welche die Atmosphäre und der Ozean uns erkennen ließen, waren gewaltsam und stürmisch, in ihrem Wechsel anscheinend keinem Gesetze unterworfen. Im Bereiche der organischen Entwickelung entdecken wir Gesetze und Regeln; die Welt der Pflanzen insbesondere enthüllt das stille innere Treiben der Natur, die seit Jahrhunderten dieselben Organe entfaltet, und noch keinen Frühling ohne Blumen ließ.

Die geographische Verbreitung der Pflanzen ist abhängig von den Klimaten. So auch hat der Druck der Atmosphäre einen auffallenden Einfluss auf die Gestalt und das Leben der Gewächse. Dies Leben ist gleichsam nach außen gerichtet. Die Pflanzen leben hauptsächlich an der Oberfläche, daher ihre Abhängigkeit von dem umgebenden Medium. - Eine Art Hautrespiration ist die wichtigste Lebensfunktion der Gewächse, und diese Respiration, in so fern sie Verdampfen, Aushauchen von Flüssigkeit ist, hängt vom Druck des Luftkreises ab. Daher sind die Alpengewächse aromatischer, daher sind sie behaarter, mit zahlreichen Ausdünstungsgefäßen bedeckt. - Nicht die größere Wärme verhindert ihr Gedeihen in der Ebene, sondern weil die Respiration ihrer äußern Integumente durch den vermehrten Barometerdruck gestört wird, und sie den Lichtreiz entbehren, der auf den höhern Gebirgen so viel lebhafter einwirkt.

Die Vegetation der südlichen Erdhälfte, die eine pelagische, eine Wasser Hemisphäre genannt werden kann, ist auffallend verschieden von der, der nördlichen. Die Schmalheit der gegen Süden pyramidalisch sich verengenden Kontinente, begründet ein wahres Insel Klima: kühle Sommer, und milde Winter. So wachsen Palmen und Farrenkräuter dem Pole näher, wie z. B. auf Van Diemens Land, das einen mit Genf korrespondierenden Breite Grad haben wird.

Zur Charakteristik der Pflanzen gehört es überhaupt, daß nicht alle über den Erdball gleichmäßig verteilt sind, sondern daß jeder Form ein bestimmter Wohnplatz angewiesen ist. Gewiße Familien könnte man nordische, andere wieder tropische nennen, wobei jedoch nicht zu erkennen ist, daß die Gränzen irgend scharf gezogen, sondern sehr in einander übergehend sind. - Die Andromeden, Ericeen, Amentaceen werden häufiger gegen Norden, wogegen andere Pflanzenformen abnehmen, und wie die Malvaceen, Leguminosen, mit den zahlreichen Cassien und Mimosen, die Rubiaceen, zu denen die wichtige Cinchona officinalis gehört, sich gegen den Aequator hin verbreiten. Auch in Hinsicht auf die Längengrade herrscht eine große Verschiedenheit. Die Vegetation von Nordamerika hat wenig Ähnlichkeit mit der Europäischen, und einzelne Pflanzentypen, die sich bei uns in großer Menge finden, scheinen der westlichen He-misphäre gänzlich zu fehlen. So habe ich unter 5-6000 untersuchten Pflanzen kaum 1-2 Formen unserer all-verbreiteten Ambellaten und Cruciferen gefunden. […]

Es gibt kaum einen größeren Kontrast, als zwischen diesen mikroskopischen Gegenständen, diesen Anfängen der vegetabilen und animalen Natur, und den Riesenprodukten der Tropenwelt, unter denen die Palmen Beispiele des höchsten Pflanzenwuchses gewähren. Die Wachspalmen, welche wir auf dem Andesrücken zwischen Ibague und Karthago in der Montaña de Quindiu entdeckt haben, Ceraxylon andicola erreicht eine Höhe von 160-180'. Die dem Tannengeschlechte verwandte Araucaria excelsa, auf den Norfolk Inseln ist sogar 240' hoch, und Dr. Douglas, welcher den Capt. Franklin auf seiner Landreise gegen den Nordpol begleitete, beschreibt das Riesenexemplar des Pinus canadensis, welchen er an den Quellen des Columbia Flusses entdeckt hat, in einer Breite die mit der von Deutschland übereinkommt, und dessen ungeheure Höhe er 260' gemessen hat. Die einzelnen Zapfen des Baumes sind 1½ Fuß lang, und der Durchmesser (nicht Umfang) des Stammes beträgt 15 Fuß. - Bemerkenswert ist es, daß diese ausgezeichneten Formen den Monocotylodonen und den Zapfenbäumen angehören, welche offenbar dem Palmengeschlechte einigermaßen verwandt sind.

Beispiele einer merkwürdigen Ausdehnung in die Breite, bietet vor Allen, noch außer dem kolossalen Dra-chenbaum (Dracaena Draco) auf Orotava (45' Umfang) die von Golberry gemessene Adansonia digitata (Boabab) an der Küste von Senegal. Der riesenhafte Baum von 34 Fuß Durchmesser, bei 60' Höhe, ist zum Teil ausgehölt, und dient zum politischen Versamlungssaal einer ganzen kleinen Völkerschaft.

Ein ähnlicher Kontrast, wie im Allgemeinen die mikroskopische Kleinheit, und die riesenmäßige Größe einiger Gewächse darbietet, findet auch statt in Rücksicht auf die Größe und das Verhältnis der Teile. Die größte bekannte Blüte trägt die Rafflesia, deren Blume einen Durchmesser von 3½ Fuß hat, und deren Kronenblätter ¾ Zoll dick sind. Dr. Arnold, der Begleiter des Sir Raffles, des Gouverneurs von Bencoolen, hat diese kolossale Blume, deren Gewicht 15 Pfund beträgt, zuerst auf Java entdeckt. Diese Blüte gehört einer parasitischen Pflanze an, welche keine Blätter trägt, und sich um die Wurzeln der Cissus Arten schlingt. Sie prangt mit der schönsten roten Farbe, und hat einen wunderbar auffallenden Geruch nach gekochtem Rindfleisch. - An den schattigen Ufern des Magdalenenflusses habe ich eine rankende Aristolochia gefunden, deren Blume von 4 Fuß Umfang sich die kleinen Indianer bei ihren Spielen über die Scheitel ziehen.

Die Zahl der auf dem Erdboden verbreiteten Pflanzen ist natürlich unbekannt. Murray's Ausgabe des Linnéschen Systems enthält, die Cryptogamen mitgerechnet nur 10,000 Spezies. Willdenow hat bereits die Zahl von 20,000 Arten angegeben. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, wie tief diese Schätzung der beschriebenen, und in den Herbarien aufbewahrten Arten unter der Wahrheit zurückgeblieben ist. - Das größte Herbarium auf der Welt hat Herr Lambert in England zusammengebracht, der 35,000 Spezies besitzt; unter die-sen 30,000 Phanerogamen.

De Candolle findet, daß man in den Schriften der Botaniker und in europäischen Herbarien, zusammen über 60,000 Pflanzenarten antreffen würde. Wenn man bedenkt, daß allein in den botanischen Gärten (unter denen der Hiesige, der Stolz unserer Hauptstadt, von allen in Europa der reichste ist) zusammen gewiß über 16,000 Phanerogamen kultiviert werden, so ist man geneigt Herrn Decandolle's Angabe noch für zu gering zu halten.

Von meiner Reise allein habe ich über 3000 neue Spezies zurückgebracht. Wie bedeutend ist dies Ergebnis im Vergleich mit den überhaupt bekannten 60,000 Arten! - Bei unserer völligen Unbekanntschaft mit dem Innern von Südamerika, (Matto Grosso, Paraguay, Buenos Ayres, aller Länder, zwischen dem Orinoco und dem Amazonenfluß) mit Inner und Ostasien (Tibet, dem nördlichen Abhänge des Himalaya, China, Malacca) mit Afrika, in dem uns Clapperton schön bewässerte Landstriche aufschließt, drängt sich unwillkürlich der Gedanke auf, daß wir noch nicht den dritten, ja wahrscheinlich nicht den fünften Teil der auf der Erde existierenden Gewächse kennen. - Diese Betrachtungen bewahren gleichsam den alten Mythos des Zendavesta, als habe die schaffende Urkraft aus dem heiligen Stierblut 120,000 Pflanzengestalten hervorgerufen.

 


 

Quelle: Reiseergebnisse in Alexander Humboldts „Vorlesungen über das Universum“ Berlin 1827/28; 8te Vorl.
Alexander von Humboldt hielt vom 6. Dezember 1827 bis zum 27. März 1828 in der Berliner Singakademie eine Reihe öffentlicher Vorlesungen über »Physikalische Geographie«, später »Kosmos-Vorlesungen« genannt. Ein Unbekannter fertigte eine Mitschrift an; der folgende Text gibt dieses Manuskript wieder.

 

Anmerkung: Alexander von Humboldt (1769 - 1859) war ein deutscher Naturforscher, Geograf und Entdecker. Er war assoziiertes Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften und Präsident der Société de géographie de Paris. Durch die Qualität der topografischen Aufnahmen und der Proben von Fauna und Flora, die er auf seinen Expeditionen nahm, legte er die Grundlage für wissenschaftliche Erkundungen.

 

Siehe auch folgende Auszüge aus seinen Publikationen: Naturbeschreibung als eigener Zweig der Literatur, Bericht zur Reise durch die Tropen der Neuen Welt, Über die Wasserfälle des Orinoco bei Atures und Maipures und Vorlesungen über das Universum.