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Der Essay „Bericht zur Reise durch die Tropen der Neuen Welt“ stammt aus der Feder von Alexander von Humboldt.

Nachdem er seit 1790 als Naturforscher Deutschland, Polen, Frankreich, die Schweiz, einen Teil Englands, Italiens, Ungarns und Spaniens bereist hatte, kam Herr Humboldt im Jahr 1798 nach Pa-ris, wo ihn das Musée National einlud, zusammen mit Kapitän Baudin eine Weltreise zu unternehmen. Gerade als er sich anschickte, zusammen mit dem aus La Rochelle stammenden Bürger Alexandre Aimé Goujaud Bonpland vom Musée de Paris zu der Expedition aufzubrechen, ließen der erneut aufflammende Krieg gegen Österreich und mangelnde Geldmittel Baudin die geplante Reise auf einen günstigeren Zeitpunkt verschieben.

Herr Humboldt, der seit 1792 mit dem Gedanken spielte, zum Fortschritt der Naturwissenschaften eine selbstfinanzierte Reise nach Indien zu unternehmen, entschloß sich daher, den Gelehrten zu folgen, die nach Ägypten aufgebrochen waren. Um dorthin zu gelangen, wollte er mit einer schwedischen Fregatte in Begleitung des Konsuls Skjöldebrand nach Algier fahren, sich dort auf die Ka-rawanenroute von Algier nach Mekka und so über Ägypten nach Arabien begeben; von dort aus plante er, über den Persischen Golf zu den englischen Kolonialbesitzungen in Indien zu gelangen.

Der im Oktober 1798 unerwartet zwischen Frankreich und den Berbern ausgebrochene Krieg sowie Unruhen im Osten hinderten Herrn Humboldt daran, von Marseille aus aufzubrechen, wo er ohne Erfolg zwei Monate mit Warten zubringen mußte. Nach dieser Verzögerung ungeduldig geworden, aber noch immer fest entschlossen, nach Ägypten zu reisen, begab er sich nach Spanien, da er hoffte, von Cartagena aus unter spanischer Flagge leichter nach Algier und Tunis zu gelangen. Seine in England und Frankreich zusammengetragene umfangreiche Sammlung physikalischer, chemischer und astronomischer Instrumente nahm er mit sich.

Eine Reihe glücklicher Fügungen ließ ihn im Februar 1799 vom spanischen Königshof zu Madrid eine Erlaubnis für die Einreise in die spanischen Kolonien in beiden Teilen Amerikas erhalten, eine Erlaubnis, die mit einer Freizügigkeit und Offenheit ausgestellt wurde, die der Regierung und dem Zeitalter der Philosophie alle Ehre machten. Nach mehrmonatigem Aufenthalt am Madrider Hof, wo König Karl IV sein persönliches Interesse für die Expedition bekundete, verließ Humboldt im Juni 1799 Europa in Begleitung seines Freundes, des Bürgers Bonpland, in dem sich profunde Kenntnisse von Botanik und Zoologie mit einem unermüdlichen Eifer vereinen.

Mit diesem seinem Freunde bereiste Herr Humboldt fünf Jahre lang und auf eigene Kosten beide Hemisphären auf einer der größten Reisen, die je zu Land und zu Wasser von einem Privatmann unternommen wurde.

Die beiden Reisenden schifften sich in La Coruña auf der spanischen Fregatte „Pizarro“ mit Kurs auf die Kanarischen Inseln ein, wo sie zum Krater des Pico del Teide aufstiegen und Experimente zur Analyse der Luft durchführten.

Im Juli erreichten sie den südamerikanischen Hafen von Cumaná. 1799 und 1800 besuchten sie die Küste von Paria, die Missionen zur Bekehrung der Chaimas-Indianer, die venezolanischen Provinzen Neu-Andalusien (das von schrecklichen Erdbeben heimgesucht worden war; eine der heißesten und dennoch gesündesten Gegenden der Erde) und Neu-Barcelona sowie Spanisch-Guayana. Sie verließen Caracas im Januar des Jahres 1800 in Richtung auf die wunderschönen Täler von Aragua, wo der große See von Valencia den Betrachter an den Anblick eines Genfer Sees erinnert, der von majestätischer Tropenvegetation umrahmt wird. Von Puerto Cabello aus überquerten sie in Richtung Süden die ausgedehnten Ebenen von Calabozo, des Apure und des Orinoko, die Llanos-Wüstengegenden, die an diejenigen von Afrika erinnern, wo das Réaumur-Thermometer im Schatten (durch die rückstrahlende Hitze) auf 35 bis 37 Grad [43,75 bis 46,25 Grad Celsius] an-steigt. Über eine Fläche von 2000 Quadratmeilen schwankt die Bodenhöhe um keine fünf Zoll [13,5 cm]. Am Horizont dieses pflanzenlosen Meeres sieht man stets nur Sand; in der Trockenzeit verbirgt er die steif gewordenen Krokodile und Boas. Wie in ganz Spanisch-Amerika mit Ausnahme Mexikos reist man zu Pferde, und es können ganze Tage vergehen, ohne daß man eine Palme oder eine Spur menschlicher Besiedlung zu Gesicht bekommt.

In San Fernando de Apure in der Provinz Varinas begannen die Herren Humboldt und Bonpland eine beschwerliche, in Kanus unternommene Flußreise von beinahe 1000 Seemeilen [1852 km]; dabei kartographierten sie das Land mit Hilfe von Chronometern, Jupitersatelliten und Mondab-ständen. Sie fuhren den Rio Apure hinab, der unterhalb des 7. Breitengrades in den Orinoko mün-det, und befuhren diesen (über die berühmten Wasserfälle von Maypure und Atures) bis zur Mün-dung des Guaviare. Nach dieser Mündung fuhren sie die kleineren Flüsse Atabapo, Tuamini und Temi hinauf und begaben sich von der Mission von Yavitá aus auf dem Landweg zu den Quellen des berühmten Río Negro, den La Condamine an der Stelle sah, an welcher er in den Amazonas mündet, und den er als Süßwassermeer bezeichnete. Etwa 30 Indios trugen die Kanus durch Wälder aus Mani, Lecythis und Laurus cinamomoides zu einem Bach namens Caño de Pimichin. Über diesen kleinen Bach gelangten unsere Reisenden in den Schwarzen Fluß, den sie hinunterfuhren, bis sie San Carlos erreichten, das man fälschlich unterhalb des Äquators oder an der Grenze des zu Brasilien gehörigen Gran Pará wähnte. Ein aufgrund der Bodenbeschaffenheit gut befahrbarer Kanal zwischen dem Temi und dem Pimichin würde eine ausgezeichnete Verbindung zwischen den Provinzen Caracas und Para darstellen und die Reise im Vergleich zum Befahren des Casiquiare, beträchtlich verkürzen.

Von der Festung San Carlos am Río Negro aus begab sich Herr Humboldt auf dem Schwarzen Fluß und dem Casiquiare wieder in nördliche Richtung zum Orinoko und auf diesem zum Vulkan Duida oder der Esmeralda-Mission in der Nähe der Quellen des Orinoko. Die Guaicas-Indianer, eine fast mit den Pygmäen vergleichbare, sehr hellhäutige, aber ausgesprochen kriegerische Menschenrasse, vereiteln jeden Versuch, direkt zu den Quellen zu gelangen. Von Esmeralda aus fuhren die Herren Humboldt und Bonpland bei angestiegenem Wasserpegel den gesamten Orinoko bis zum Delta in San Tomé de Guayana (oder San Tomé de Angostura) hinauf. Im Verlauf dieser langen Flußfahrt waren sie durch Mangel an Nahrung und Unterkunft, nächtliche Regenfälle, das Leben in den Wäldern, die Moskitos und eine Unzahl anderer stechender Insekten, die Unmöglichkeit sich zu baden (im Fluß lauerten Krokodile und Piranhas) und durch die Ausdünstungen eines sengend heißen Klimas fortwährenden Leiden ausgesetzt.

Die Rückkehr nach Cumaná erfolgte über die Ebenen von Cari und die Missionen der Caribe-Indianer; diese bilden eine von allen anderen verschiedene Rasse und sind nach den Patagoniern die vielleicht hochgewachsensten und robustesten Menschen der ganzen Erde. Nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Neu-Barcelona und Cumaná begaben sich unsere Reisenden nach einer sehr langen und gefährlichen Seereise, bei dem das Schiff bei Nacht beinah auf die Víbora-Felsen aufgelaufen wäre, nach Havanna.

Herr Humboldt blieb drei Monate auf Kuba, wo er den Längengrad Havannas bestimmte und auf den Zuckerplantagen Öfen errichtete, die später allgemeine Verbreitung fanden. Er wäre beinahe nach Veracruz aufgebrochen und wollte über Mexiko-Stadt und Acapulco zu den Philippinen und von dort aus (sofern möglich) über Bombay und Aleppo nach Konstantinopel reisen, doch falsche Nachrichten über die Reise des Kapitäns Baudin ließen ihn von diesem Vorhaben Abstand nehmen. Den Gazetten zufolge wollte der Kapitän von Frankreich aus nach Buenos Aires segeln und von dort aus um Kap Horn nach Chile und zu den Küsten Perus. Herr Humboldt hatte Kapitän Baudin und dem Musée de Paris versprochen, daß er - von welchem Ort aus auch immer - versuchen würde, sich der Expedition anzuschließen, nachdem er erfahren hätte, daß sie durchgeführt wird. Er hoffte, daß seine Forschungen und die des Bürgers Bonpland den Wissenschaften von noch größerem Nutzen sein könnten, wenn er seine Arbeiten zusammen mit den Forschern durchführte, die Kapitän Baudin begleiten sollten.

Diese Erwägungen bewogen Herrn Humboldt dazu, seine Manuskripte der Jahre 1799 und 1800 direkt nach Europa zu senden und in Batabanó einen kleinen Schoner zu chartern, um so schnell als möglich nach Cartagena und von dort aus durch die Meerenge von Panama in die Südsee zu gelan-gen. Er hoffte, Kapitän Baudin in Guayaquil oder in Lima zu treffen und mit ihm Neu-Holland und die Inseln des Pazifischen Ozeans zu besuchen, die sowohl wegen ihrer Vegetation als auch aus ethischer Sicht interessant sind. Es schien fahrlässig, die bereits zusammengetragenen Manuskripte und Sammlungen den Gefahren einer solchen Seereise auszusetzen. Die Manuskripte, über deren Schicksal Herr Humboldt drei Jahre lang - bis zu seiner Ankunft in Philadelphia - im Ungewissen war, sind erhalten geblieben; ein Drittel der Sammlungen ging jedoch durch einen Schiffbruch verloren. Mit Ausnahme der Insekten vom Orinoko und vom Río Negro handelte es sich aber glücklicherweise um Doubletten.

Bei dem Schiffbruch kam auch der Freund um, dem Herr Humboldt die Sammlungen anvertraut hatte, der Franziskanermönch Fray Juan González, ein mutiger junger Mann, der weitaus tiefer in die unbekannte Welt Spanisch-Guayanas vorgedrungen war als jeder andere Europäer.

 


 

Quelle: Den Bericht zur Reise durch die Tropen der Neuen Welt (1799-1804) verfasste Humboldt im Juni 1804 während einer Schiffsreise auf dem Delaware-River in französischer Sprache ("Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent"). Da er anonym publiziert werden sollte, hat ihn Humboldt selbst in der dritten Person verfasst. Das handschriftliche Original hat sich in den USA erhalten.

 

Anmerkung: Alexander von Humboldt (1769 - 1859) war ein deutscher Naturforscher, Geograf und Entdecker. Er war assoziiertes Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften und Präsident der Société de géographie de Paris. Durch die Qualität der topografischen Aufnahmen und der Proben von Fauna und Flora, die er auf seinen Expeditionen nahm, legte er die Grundlage für wissenschaftliche Erkundungen.

 

Siehe auch folgende Auszüge aus seinen Publikationen: Naturbeschreibung als eigener Zweig der Literatur, Bericht zur Reise durch die Tropen der Neuen Welt, Über die Wasserfälle des Orinoco bei Atures und Maipures und Vorlesungen über das Universum.