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Der Fluss der Zeit behandelt den Aspekt, das wir die Zeit abschnittsweise & nacheinander erfahren (im Gegensatz zu den 3 Dimensionen des Raums). Es handelt sich um einen Auszug aus dem Buch "Anti-Chaos: Der Pfeil der Zeit in der Selbstorganisation des Lebens" (1990; engl.: The Arrow of Time) von Peter Coveney & Roger Highfield. Das Sachbuch wurde ein das ein Top-Ten-Bestseller der Sunday Times und ein "bemerkenswertes" Buch des Jahres der New York Times.

Textauszug

Wir alle wissen um den unumkehrbaren Fluss der Zeit, der unsere Existenz zu bestimmen scheint: Die Vergangenheit ist unwandelbar, die Zukunft ist offen. Wir wünschen uns manchmal, die Uhr zurückdrehen zu können, um einen Fehler ungeschehen zu machen oder eine glückliche Stunde nochmals zu erleben. Aber dies ist, wie wir wissen, unmöglich - der Augenblick wird nicht verweilen, die Zeit nicht rückwärts laufen.

Aber können wir uns wirklich sicher sein? Überraschenderweise geben die großen naturwissenschaftlichen Theorien der alltäglichen Erfahrung mit der Zeit wenig Unterstützung - in ihnen spielt die Richtung der Zeit praktisch keine Rolle. Newtons klassische Mechanik, Einsteins Relativitätstheorie, die Quantenmechanik von Schrödinger und Heisenberg, alle diese großen Gedankensysteme würden ebenso gut funktionieren, wenn die Zeit rückwärts liefe. Wenn man einen Film herstellte, in dem alle Ereignisse mit diesen Theorien beschreibbar wären, so könnte man anschließend beim Zusehen nicht entscheiden, ob der Film vorwärts oder rückwärts durch den Projektor läuft beide Versionen sind gleich plausibel.

Dass die Zeit nur eine Richtung aufweist, scheint als Illusion im Geist zu entstehen. Häufig sprechen daher Naturwissenschaftler, wenn sie mit dem alltäglichen Gefühl verfließender Zeit konfrontiert sind, eher herablassend von «erlebter» oder von «subjektiver Zeit».

Könnte es sein, dass irgendwo im Universum die Zeit gerade andersherum fließt, als wir es gewohnt sind - an einem Ort, wo sich die Menschen aus dem Grab erheben, ihre Falten verlieren und schließlich in den Mutterleib gelangen. Es wäre eine Welt, in der Düfte in Parfümflaschen zögen, wo Wellen auf dem Wasser zusammenliefen und Steine herausschleuderten, wo die Luft in einem Raum sich spontan in ihre Bestandteile zerlegte, eine Welt, in der sich Gummifetzen zu prallen Luftballons formten und Licht, aus den Augen der Astronomen kommend, von den Sternen absorbiert werden würde. Und vielleicht sind damit die Möglichkeiten noch gar nicht erschöpft: Könnte es, wenn man diesen Gedanken weiterverfolgt, nicht auch sein, dass dies alles hier auf der Erde geschieht ? Können wir alle in die Vergangenheit gesaugt werden?

Dies widerspricht aller Erfahrung, die uns lehrt, dass die Zeit immer in eine Richtung fließt. Vergleichen wir Zeit und Raum, so wird die Besonderheit der Zeit noch deutlicher: Der Raum umgibt uns, die Zeit dagegen erfahren wir abschnittsweise nacheinander. Der Unterschied zwischen verschiedenen Richtungen wie links und rechts ist trivial, verglichen mit dem Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft: Wir können uns frei in den Richtungen des Raumes bewegen, aber wir können mit unseren Handlungen nur die Zukunft beeinflussen, nicht die Vergangenheit. Wir haben Erinnerungen, kein Vorauswissen (wenn man von Sehern absieht). Dinge pflegen im Allgemeinen eher zu zerfallen, als sich von sich aus zusammenzufügen. Wir erleben, dass im Raum keine, in der Zeit dagegen nur eine Richtung bevorzugt ist. Sie bewegt sich wie ein Pfeil. Diesen sehr anschaulichen Ausdruck «Zeitpfeil» («the arrow of time») hat zuerst der britische Astrophysiker Arthur Eddington im Jahre 1927 geprägt. [...]

Die Unumkehrbarkeit der Zeit enthüllt sich hier als Quelle des Wertes alles menschlichen Lebens. Unausgesprochen, doch im Gesagten mitschwingend, taucht der schließliche Sieg des Todes auf. Und dies ist auch eine Verbindung zur naturwissenschaftlichen Sehweise, denn die Tatsache, dass jedes Lebewesen schließlich stirbt, ist der deutlichste Hinweis auf das Fließen der Zeit. In jeder Erklärung der Welt muss dieses Phänomen einen gebührenden Platz finden. Arthur Eddington: „Bei jedem Versuch, den Brückenschlag zwischen dem Reiche geistiger und dem physikalischer Erfahrung zu tun, wird es vor allem nötig sein, das Wesen der Zeit zu ergründen.“  

Zeitpfeil

Der Zeitpfeil ist ein Konzept, das die "Einbahnstraße" oder "Asymmetrie" der Zeit postuliert. Es wurde 1927 von dem britischen Astrophysiker Arthur Eddington entwickelt und ist eine ungelöste allgemeine physikalische Frage. Diese Richtung, so Eddington, könne durch das Studium der Organisation von Atomen, Molekülen und Körpern bestimmt und auf einer vierdimensionalen relativistischen Weltkarte ("ein fester Papierblock") eingezeichnet werden.

Die Symmetrie der Zeit (T-Symmetrie) kann einfach wie folgt verstanden werden: Wäre die Zeit vollkommen symmetrisch, würde ein Video von realen Ereignissen sowohl vorwärts als auch rückwärts abgespielt realistisch wirken. Die Schwerkraft ist beispielsweise eine zeitlich umkehrbare Kraft. Ein Ball, der hochgeworfen wird, zum Stillstand kommt und fällt, ist ein Fall, bei dem die Aufnahmen vorwärts und rückwärts gleichermaßen realistisch aussehen würden. Das System ist T-symmetrisch. Der Prozess, bei dem der Ball aufspringt und schließlich zum Stillstand kommt, ist jedoch nicht zeitumkehrbar. Während der Vorwärtsbewegung wird kinetische Energie abgeführt und die Entropie erhöht. Die Entropie ist möglicherweise einer der wenigen Prozesse, die nicht zeitumkehrbar sind. Nach dem statistischen Konzept der zunehmenden Entropie wird der "Pfeil" der Zeit mit einer Abnahme der freien Energie gleichgesetzt.

In seinem Buch "The Big Picture" (2016) hat der Physiker Sean M. Carroll die Asymmetrie der Zeit mit der Asymmetrie des Raums verglichen: Während die physikalischen Gesetze im Allgemeinen isotrop sind, gibt es in der Nähe der Erde einen offensichtlichen Unterschied zwischen "oben" und "unten", was auf die Nähe zu diesem riesigen Körper zurückzuführen ist, der die Symmetrie des Raums bricht. In ähnlicher Weise sind die physikalischen Gesetze im Allgemeinen symmetrisch zur Umkehrung der Zeitrichtung, aber in der Nähe des Urknalls (d. h. in den ersten vielen Billionen Jahren danach) gibt es eine offensichtliche Unterscheidung zwischen "vorwärts" und "rückwärts" in der Zeit, aufgrund der relativen Nähe zu diesem besonderen Ereignis, das die Symmetrie der Zeit bricht. Nach dieser Auffassung sind alle Zeitpfeile ein Ergebnis unserer relativen Nähe zum Urknall und der besonderen Umstände, die damals herrschten.