Lesen bildetLesen bildet

Mein Leben (1999) ist ist die Autobiographie von Marcel Reich-Ranicki, dem einflussreichsten und gefürchtetsten Literaturkritiker seiner Zeit. (560 Seiten).

Handlung

Jugend und Nazizeit

Reich-Ranicki wurde in Polen als Kind jüdischer Eltern geboren. Sein Vater hatte eine Baustofffabrik, die jedoch 1928 in Konkurs ging. Marcel war das einzige der 3 Kinder, das die deutsche Schule in Włocławek besuchen konnte; die Familie bestand aus sogenannten Kulturdeutschen; seine Mutter, Helene Auerbach, zog es vor, nach Berlin zurückzukehren.

1929 beschlossen seine Eltern, ihn nach Berlin zu schicken, wo er bei wohlhabenden Verwandten unterkam. Dort besuchte er das Werner-Siemens-Realgymnasium, eine fortschrittliche Schule mit vielen jüdischen Schülern. Diese Schule wurde jedoch 1935 aufgelöst, und Reich-Ranicki wurde durch die an die Macht gekommenen Nazis zunehmend an den Rand gedrängt. Er durfte an den meisten studentischen Aktivitäten nicht teilnehmen und füllte seine Zeit mit Lesen und dem Besuch von Konzerten. Als Thomas Mann sich offen vom Nationalsozialismus distanzierte, wurde dieser Autor zu Reich-Ranickis großem Vorbild. Seine neue Schule, das Fichte-Gymnasium in Berlin-Wilmersdorf, hielt an der Gleichbehandlung von Juden fest, und so konnte er das Abitur doch noch machen. Am 23. April 1938 wurde ihm die Aufnahme in die Humboldt-Universität, die damals noch Friedrich-Wilhelms-Universität hieß, wegen seiner jüdischen Abstammung verweigert.

Ende 1938 wurde Reich-Ranicki nach Polen ausgewiesen; im Zuge der Polenaktion wurde er im Rahmen der ethnischen Säuberung nach Warschau zwangsumgesiedelt. Dort musste er wieder Polnisch lernen und blieb ein Jahr lang arbeitslos. Seine spätere Frau, Tosia Langnas, lernte er nach dem Polenfeldzug kennen.

1940 wurde Reich-Ranicki gezwungen, in das Warschauer Ghetto zu ziehen. Dort arbeitete er als Übersetzer für den Judenrat und schrieb Konzertkritiken für die Gazeta Żydowska, die Zeitung des Ghettos. Darüber hinaus arbeitete er mit dem Untergrundarchiv von Emanuel Ringelblum zusammen. Um seine Überlebenschancen zu erhöhen, heiratete er am 22. Juli 1942 seine Freundin, nachdem er erfahren hatte, dass die SS plante, die Bewohner nach Treblinka zu deportieren. Er nahm an einer Widerstandsaktion der Żydowska Organizacja Bojowa teil. Die Nazis verschonten ihn zunächst, weil er als Übersetzer nützlich war. Kurz vor der Deportation floh er mit seiner Frau aus dem Ghetto, indem er die Wachen bestach. Er fand Unterschlupf bei dem Drucker Bolek Gawin, wo er sich nach der Besetzung des rechten Weichselufers durch die Rote Armee versteckte, und hielt sich durch Erzählungen über den Inhalt großer literarischer Werke am Leben, was die Familie dazu veranlasste, ihn als nützlich zu betrachten (er nannte dies später ein Scheherazade-Erlebnis). Bis zu ihrem Tod haben Reich-Ranicki und seine Frau die Tochter von Bolek Gawin finanziell unterstützt. Reich-Ranickis Eltern wurden beide in Treblinka vergast, sein Bruder Alexander wurde bei Lublin erschossen. Seine Schwester Gerda war bereits 1933 nach London geflohen.

Polnische Spionage

1944 trat Reich-Ranicki in den Urząd Bezpieczeństwa, den polnischen Geheimdienst, ein, der von der Schattenregierung in Moskau eingerichtet wurde und Spionageaktivitäten gegen Großbritannien leitete. Er wurde als Gesandter nach London geschickt und nannte sich Marceli Ranicki, weil der Name Reich zu deutsch klang. Obwohl er mit zwei Medaillen ausgezeichnet wurde, misstrauten ihm seine Kollegen, weil er oft auf eigene Faust handelte und als Intellektueller eher arrogant wirkte. Sein Sohn wurde in London geboren. Schließlich wurde er aus London abberufen und wegen ideologischer Unzurechnungsfähigkeit entlassen; außerdem wurde er aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und für einige Wochen inhaftiert. Nach seiner Entlassung widmete er sich der Literatur und arbeitete für einen Verleger in Warschau, erhielt aber von den Behörden ein Publikationsverbot. Er ging dann zum polnischen Rundfunk, wo auch seine Frau arbeitete.

1994 beschuldigte Tilman Jens, ein Sohn von Walter Jens, Reich-Ranicki, während seiner Tätigkeit in London versucht zu haben, emigrierte Polen zurück nach Polen zu locken, woraufhin einige von ihnen zum Tode verurteilt wurden. Reich-Ranicki leugnete stets, dass er Komplize eines Mordes gewesen sei und behauptete, dass er nur wegen der luxuriösen Lebensbedingungen und materiellen Vorteile, die dies mit sich brachte, Spion gewesen sei. Walter Jens und Reich-Ranicki versöhnten sich schließlich im Jahr 2004.

Karriere in der Literatur

1958 hielt sich Ranicki während einer Studienreise in Frankfurt am Main auf. Im August desselben Jahres begann er als Literaturkritiker für die Frankfurter Allgemeine Zeitung zu arbeiten und nannte sich fortan mit vollem Namen Reich-Ranicki. Viel Unterstützung erhielt er von Autoren der Gruppe 47, wie Wolfgang Koeppen und Siegfried Lenz, die ihre Bücher von ihm rezensieren ließen. Dennoch bestand der Leiter der Literaturredaktion, Friedrich Sieburg, auf seiner Entlassung. Ende 1959 zog Reich-Ranicki nach Hamburg-Niendorf, wo er bei der "Zeit" zu arbeiten begann und selbst entscheiden durfte, welche Bücher er rezensieren würde.

Reich-Ranicki schloss Freundschaft mit Joachim Fest, der für den Norddeutschen Rundfunk arbeitete und ab 1973 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war. Ihm ist es zu verdanken, dass er noch im selben Jahr literarischer Chefredakteur dieser Zeitung wurde. Ab 1986 brach in Deutschland der sogenannte Historikerstreit aus; es ging um den Umgang mit Autoren, die in den Nationalsozialismus verstrickt waren. Bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1988 behielt sich Reich-Ranicki das Recht vor, alle Autoren zu rezensieren, die er für literarisch verdienstvoll hielt, unabhängig von ihrem ideologischen oder historischen Hintergrund. Außerdem gründete er die Frankfurter Anthologie und gab mehrere Sammlungen zur deutschen Literatur heraus. Im Jahr 1977 stiftete er außerdem den Ingeborg-Bachmann-Preis.

In den Jahren 1968 und 1969 war er Gastprofessor an mehreren amerikanischen Universitäten und von 1971 bis 1975 an den Universitäten von Stockholm und Uppsala. Seit 1974 ist er Honorarprofessor an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Im Jahr 1990 war er Gastprofessor an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf und 1991 an der Universität Karlsruhe. 2006 erhielt Reich-Ranicki die Ehrendoktorwürde der Humboldt-Universität zu Berlin; damit wollte die Universität ausgleichen, dass ihre Vorgängerin, die Friedrich-Wilhelms-Universität, ihm seinerzeit den Zugang verwehrt hatte. Im selben Jahr gründete die Universität Tel Aviv den Marcel Reich-Ranicki-Lehrstuhl für Deutsche Literatur als Zeichen der deutsch-jüdischen Aussöhnung.

Vom 1988 bis 2001 moderierte Reich-Ranicki die Sendung Das Literarische Quartett im ZDF, die ihn einem breiten Publikum bekannt machte. Er galt als der unübertroffene Literaturpapst.

Am 11. Oktober 2008 wurde Reich-Ranicki mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. In einem kontroversen Auftritt weigerte er sich entschieden, den Preis anzunehmen, als Reaktion auf "die Dummheit, die wir heute Abend hier gesehen haben". Dies provozierte eine Debatte in den Medien über die Inhaltslosigkeit des zeitgenössischen Fernsehens und den Mangel an intellektuellen Reizen. Moderator Thomas Gottschalk lud Reich-Ranicki zu einer einstündigen Debatte ein, um gemeinsam mit den Direktoren der 3 großen Sender über die Qualität des Fernsehens zu diskutieren. Der Literaturkritiker stimmte zu, doch am Ende lehnten die Fernsehbosse die Einladung ab und die Diskussion fand nur zwischen Reich-Ranicki und Gottschalk statt; sie dauerte nur eine halbe Stunde.

Im Mai 2013 gab Reich-Ranicki bekannt, dass er an Krebs erkrankt war, und starb am 18. September 2013 im Alter von 93 Jahren in Frankfurt am Main.

Verfilmung

Die Autobiografie des "Literaturpapstes" wurde 2009 unter der Regie von Dror Zahavi mit Matthias Schweighöfer und Katharina Schüttler verfilmt.

 

Weitere Bücher

Zusammenfassung / Kritik / Review / Inhalt / Handlung