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Der Geschmack von Apfelkernen (2008) ist der Debüt-Roman von Katharina Hagena (250 Seiten).

Zusammenfassung

Das Cover des Bestsellers zeigt ein kleines Mädchen, das zwischen Herbstäpfeln sitzt. Ein perfektes Cover, denn in dieser Geschichte geht es um das Sammeln und Einmachen von saisonalem Eingemachtem, um das Tun und Lassen in der Familie und um das gemütliche Auskosten von Clan-Erinnerungen.

Iris ist eine pflichtbewusste junge Frau, die das Haus ihrer Großmutter auf dem Lande geerbt hat. Wird sie es behalten oder verkaufen? Iris taucht in bittersüße Erinnerungen an Apfelessen, Freundschaften und drei Generationen weiblicher Familienüberlieferung ein und zieht für den Sommer ein. Die Rückkehr in das ursprüngliche Haus ist ein vertrautes Thema, ebenso wie die Idee des Hauses als Hort von Familiengeheimnissen, so dass es nicht zu viel ist, eine originelle Perspektive oder zumindest eine fesselnde Erzählstimme zu erwarten.

Was sofort auffällt, ist Iris' Vertiefung in die physische Welt: Kindheitsspiele im Garten, der Geruch von Großmutter Berthas Eingemachtem und die akribischen Porträts der Familienmitglieder. Es gibt viele gesprächige Beschreibungen von Familienkleidern, die sie anprobiert: der uralte Versuch eines Mädchens, den Älteren unter die Haut zu gehen. Wir erfahren sogar, dass sie auf dem Weg zum Haus "ein kurzes schwarzes ärmelloses Kleid und schwarze Sandalen mit dicken Keilabsätzen trägt: gut für lange Strecken auf dem Bürgersteig oder zum Schleppen von Büchern aus dem Regal". Gut zu wissen.

Umherschweifende ländliche Genealogien haben ihren Reiz, und die menschlichen Geschichten sind vielversprechend: Die stromgeplagte Tante Inga, die ledig bleibt ("sie war schon immer eine geheimnisvolle Frau"); die symbolisch demente Großmutter Bertha mit ihrer Zuneigung zu ihrem Mann Hinnerk ("sie liebte seine grimmige Aura, sein Schweigen und seinen beißenden Sarkasmus"); der freundliche Nachbar Herr Lexow, der Iris ein Geheimnis über Bertha verraten will; die Cousine Rosemary, die durch das Dach des Wintergartens gestürzt ist; und ihre Kindheitsfreundin Mira, die immer schwarz trug und "eine Leidenschaft hatte: Rosemary".

Aber es ist alles eine Frage der Erzählung, und während pauschale Aussagen anstelle von Live-Szenen erträglich sind ("Die Räder des Schicksals wurden immer in Bewegung gesetzt - auch in unserer Familie - durch einen Sturz. Und durch einen Apfel"), ist die allgemeine Selbstgefälligkeit der Sprache befremdlich. Nach mehrmaligem Vorkommen von "wunderbaren" Blüten und "wunderbaren" Gelees, die "wunderbar" schmecken, folgen Sätze wie: "Anna und Bertha waren stolz auf ihr wunderschönes Bauernhaus und ihren wunderbaren Vater, der sich zwar Sorgen um seine Nachfolge auf dem Hof machte, aber nie etwas gegen seine Töchter oder seine Frau hatte, sondern versuchte, seine 'drei Mädchen' so gut wie möglich zu verwöhnen", begann ich mich zu fragen, ob in der Übersetzung etwas Entscheidendes verloren gegangen war. Nein - die Übersetzung von Jamie Bulloch ist tadellos; tatsächlich war die Qualität der Wiedergabe nach der Hälfte des Buches der einzige Grund, weiterzulesen, denn jede gute literarische Übersetzung ist ein kleiner Triumph. Aber es lässt sich nicht verbergen, dass sich die Geschichte in einer selbstgefälligen, selbstgefälligen Sprache abspielt, gespickt mit Fragen, die die Prosa nicht beleben ("Wie lange hatte ich geschlafen? Zehn Minuten? Zehn Sekunden?"), und hölzernen Dialogen zwischen Iris und ihrem Kindheitsfreund Max, der jetzt ein Anwalt ist.

Schade, denn vieles an der Familiengeschichte ist interessant, vor allem Hinnerk, der sich als eine Art guter Nazi mit einer Vorliebe für landwirtschaftliche Poesie entpuppt. Sein Schweigen zum Thema Krieg lässt Iris mit einer wenig überzeugenden lyrischen Pause erkennen, dass "nicht nur das Vergessen eine Form des Erinnerns war, sondern auch das Erinnern eine Form des Vergessens".

Der Hauptwert liegt hier in dem sozialen Porträt von drei Generationen gewöhnlicher Deutscher: die Großeltern; ihre drei Töchter, deren Berufe und Liebesleben in lebendigen Vignetten dargestellt werden - Hagenas Prosa wird plötzlich lebendig, wenn sie über sexuelles Begehren schreibt; und Iris und ihre Cousine Rosemary, deren Unfall die "Wunde" von Iris' Erbe ist. Ich werde das Ende nicht verraten, sondern nur sagen, dass das Gelee diesen Sommer wunderbar sein wird.

Verfilmung

Das Buch wurde 2013 unter der Regie von Vivian Naefe verfilmt. Die Hauptrolle der Iris verkörpert Hannah Herzsprung.

Autorin

Katharina Hagena studierte Anglistik und Germanistik an den Universitäten Marburg, London und Freiburg. Im Jahr 1994 erhielt sie ein Forschungsstipendium der Gottlieb Daimler und Carl Benz Stiftung und verbrachte einen Forschungsaufenthalt bei der James Joyce Foundation in Zürich. 1995 schrieb sie ihre Doktorarbeit über James Joyces Roman Ulysses (Was die wilden Wellen sagen. Der Seeweg durch den Ulysses).
Zwei Jahre lang arbeitete sie im Deutschen Akademischen Austauschdienst am Trinity College Dublin. Anschließend war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Hamburg und Lüneburg tätig. Nach der Veröffentlichung ihres ersten Romans zog sie nach Hamburg und lebte als freie Schriftstellerin.

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